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Ordnung, die zum ADHS-Gehirn passt – Zwei alltagsnahe Ordnungstypen

Ordnung ist kein Selbstzweck. Für viele Menschen mit ADHS ist sie ein ständiges Spannungsfeld: Einerseits besteht der Wunsch nach Struktur und Klarheit, andererseits steht dem oft eine ausgeprägte Reizoffenheit, Impulsivität oder Vergesslichkeit im Weg. Die gute Nachricht: Ordnung kann funktionieren – wenn sie zum Denken und Wahrnehmen passt. 

Hier lernst du zwei alltagsnahe Ordnungstypen kennen, die sich besonders für Menschen mit ADHS bewährt haben: den Alles-im-Blick-Typ und den Alles-an-seinem-Platz-Typ. 

Der Alles-im-Blick-Typ 

(visuell-orientierter, impulsiver Ordnungsstil) 

Wer zu diesem Typ gehört, braucht Dinge im Sichtfeld, um sie nicht zu vergessen. Geschlossene Schränke, Kisten mit Deckeln oder beschriftete Ordner funktionieren oft nicht, weil sie aus dem Blick – und damit aus dem Kopf – verschwinden. 

Stattdessen helfen offene, visuell zugängliche Ordnungslösungen. Dieser Typ profitiert von klaren, groben Kategorien, von transparenten Boxen, Wandhaken oder Regalbrettern, auf denen die wichtigsten Gegenstände schnell erreichbar sind. 

Typische Merkmale: 

  • "Ich muss es sehen, sonst vergesse ich es." 

  • Ablehnung geschlossener Aufbewahrung ("Ich verliere den Überblick.") 

  • Ordnungssysteme müssen einfach & sofort nutzbar sein 

  • Spontane Impulse prägen das Handeln 

 

Warum das bei ADHS hilfreich ist: 

  • Das visuelle System kompensiert ein schwaches Arbeitsgedächtnis 

  • Reduziert Entscheidungsstress („Wohin damit?“) durch einfache Abläufe 

  • Erlaubt flexibles, schnelles Aufräumen ohne langes Nachdenken 

  • Studien zeigen, dass visuelle Hinweise und offene Systeme die Organisation bei ADHS unterstützen können (vgl. Rotz & Wright, 2005; Barkley, 2012) 

 

Praxis-Tipps: 

  • Offene Körbe statt Schubladen 

  • Kleidung an Haken statt im Schrank 

  • Schreibtisch mit sichtbarer Materialzone 

  • Große Etiketten, Farben oder Fotos zur Orientierung 

 

Der Alles-an-seinem-Platz-Typ 

(reizsensibler, strukturbedürftiger Ordnungsstil) 

Dieser Ordnungsstil ist geprägt von dem Wunsch nach visueller Ruhe und klarer Struktur. Reizüberflutung führt schnell zu innerer Unruhe. Deshalb werden Dinge lieber außer Sichtweite gelagert – allerdings nur, wenn sie auch leicht erreichbar und unkompliziert zu verstauen sind. 

Menschen mit diesem Stil räumen häufig impulsiv auf, indem sie Dinge schnell irgendwo verstauen – was auf Dauer zu Chaos führen kann. Funktioniert die Ordnung jedoch mit einfachen, wiederholbaren Routinen, entsteht ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit.

 

Typische Merkmale: 

  • "Wenn alles ruhig aussieht, kann ich durchatmen." 

  • Bedürfnis nach klarer äußeren Struktur 

  • Überforderung bei offenem Durcheinander 

  • Reizvermeidung durch geschlossene Systeme (Körbe, Schränke) 

 

Warum das bei ADHS hilfreich ist: 

  • Reizfilterung hilft, emotional stabil und handlungsfähig zu bleiben 

  • Struktur erleichtert das Wiederfinden und reduziert Entscheidungsmüdigkeit 

  • Fördert Routinen, die Sicherheit und Orientierung geben 

  • Studien betonen die Bedeutung reizreduzierter Umgebungen für die emotionale Selbstregulation bei ADHS (vgl. Safren et al., 2005; Antshel & Barkley, 2020) 

 

Praxis-Tipps: 

  • Schränke mit offenen Boxen ohne Deckel im Inneren 

  • Einheitliche Körbe in Regalen 

  • Regelmäßiges Ausmisten statt Sortieren in Kleinteile 

  • Etiketten mit Symbolen oder Stichworten 

 

Beide Stile in Kombination nutzen 

Viele Menschen mit ADHS erkennen sich in beiden Ordnungsstilen wieder – z. B. je nach Raum, Tagesform oder mentaler Verfassung. Deshalb ist es hilfreich, Ordnungszonen unterschiedlich zu gestalten: 

  • Arbeitsbereiche (z. B. Schreibtisch, Küche) eher sichtbar strukturieren 

  • Erholungszonen (z. B. Schlafzimmer, Bad) reizarm und geschlossen halten 

Auch innerhalb eines Raums kann beides kombiniert werden: sichtbare Schnellablage + verdeckte Grundstruktur. 

 

Fazit: Ordnung darf entlasten 

Diese beiden Ordnungsstile sind kein starres System, sondern ein Werkzeug, das hilft, mit ADHS besser durchs Leben zu navigieren. Wer erkennt, wie das eigene Gehirn denkt und wahrnimmt, kann Strukturen schaffen, die entlasten – nicht überfordern. 

Ordnung funktioniert, wenn sie sich an dich anpasst – nicht umgekehrt. 

 

Literatur 

  • Antshel, K. M., & Barkley, R. A. (2020). Psychosocial interventions in attention deficit hyperactivity disorder. Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America, 29(3), 445–460. https://doi.org/10.1016/j.chc.2020.02.004 

  • Barkley, R. A. (2012). Taking Charge of ADHD: The Complete, Authoritative Guide for Parents (3rd ed.). New York: Guilford Press. 

  • Rotz, D., & Wright, A. (2005). The ADHD Workbook for Teens: Activities to Help You Gain Motivation and Confidence. Instant Help Books. 

  • Safren, S. A., Sprich, S., Perlman, C. A., & Otto, M. W. (2005). Mastering Your Adult ADHD: A Cognitive-Behavioral Treatment Program. Oxford University Press. 

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